Smart City: Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview
16.11.2020 | Nach der Krise ist vor der Krise? Nein, sagt der renommierte Zukunftsforscher Matthias Horx, es fügt sich gerade eine neue Welt zusammen. Für die SWM hat er darüber nachgedacht, wie sich München zur Smart City verändern wird.
Die Welt nach Corona
„Rückblickend werden wir uns über vieles wundern“, meint Matthias Horx. Zu Beginn der Pandemie hatte der Trendforscher eine viel beachtete Vision entworfen. „Die Welt nach Corona“ hat er sie genannt. In dieser Welt bedeutet Verzicht nicht automatisch Verlust, sondern eröffnet neue Möglichkeiten. Ja, wir müssen auf Distanz zu anderen gehen, aber das schafft auch eine neue Nähe, lässt uns erkennen, welche Kontakte uns wirklich wichtig sind.
Die Kulturtechniken des Digitalen bewähren sich erstaunlich schnell in der Praxis und werden zu einer Selbstverständlichkeit. „Auch mit ihrer Hilfe entstehe „eine neue Kultur der Erreichbarkeit, der Verbindlichkeit“, so Matthias Horx. Technologie als Allheilmittel? Keineswegs, denn es werden Menschen sein, die sich engagieren, die wichtige Entscheidungen treffen.
Matthias Horx im Interview
Matthias Horx gründete 1998 das Zukunftsinstitut, das heute Standorte in Frankfurt am Main und Wien hat. Was man aus der Krise machen kann, zeigt sein neues Buch „Die Zukunft nach Corona“ (Econ Verlag).
SWM: Herr Horx, in Ihrer Post Corona-Vision beschreiben Sie, wie sich die Welt, die wir kennen, auflöst und sich eine neue formt. Was bedeutet das für eine europäische Großstadt wie München?
Matthias Horx: „In Zukunft leben wir in einer Welt, in der Menschen mehr auf Distanz gehen, ohne dabei den Zusammenhalt verlieren zu müssen. Man könnte sagen: Eine ‚luftigere‘ Welt liegt vor uns. Städte sind Zusammenballungen von Menschenmassen mit hoher Dichte. Wenn wir es gut machen, diesen Wandel bewusst zu gestalten, könnte er die Städte einfach entspannen.“
Wie genau geht ein guter Wandel?
„Wir sollten die Stadt großräumiger und großzügiger gestalten. Wir können sie entflechten und dadurch auch die Lebensqualität erhöhen. Es spricht viel dafür, dass durch Corona die extreme Urbanisierung, die besonders München zu spüren bekommen hat, vorbei ist. In den vergangenen zehn, zwanzig Jahren sind alle in Massen in die Großstädte geströmt, und das hat gewaltige Probleme geschaffen. Das wird sich wohl ändern. Man geht vielleicht wieder mehr in die Peripherie, in die Fläche, und sogar aufs Land.“
Stichwort Mobilität. Schon jetzt bewegen wir uns in der Stadt völlig anders als vor der Krise – wie wird das weitergehen?
„Es fängt damit an, dass man sich bemühen sollte, die Rush Hour aufzulösen. Das wäre noch vor kurzem unmöglich gewesen, aber jetzt geht es deshalb, weil viele Menschen im Home-Office arbeiten – und das auch teilweise in Zukunft beibehalten werden. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit wird jetzt richtig in Schwung kommen.“
Auf welche Veränderungen sollte sich ein Mobilitätsanbieter noch einstellen?
„Wir brauchen mehr Kapazitäten, damit die Menschen nicht in vollgestopften Vehikeln sitzen, vielleicht auch mehr automatische Fahrsysteme. Gleichzeitig wird es mehr Fahrräder und offene Räume geben. Und das sind nur einige von sehr vielen Veränderungen im Bereich Mobilität, die da auf uns zukommen werden.“
Die SWM haben schon vor der Krise an vielfältigen, modernen Lösungen dafür gearbeitet.
„Im Grunde sind das auch alles Entwicklungen, die abzusehen waren und zum Teil schon lange im Gange sind. Städte tun gut daran, wenn sie sich da möglichst frühzeitig und gut aufstellen, sich austauschen und voneinander lernen. Wenn wir uns zum Beispiel anschauen, wie Stockholm verkehrsmäßig, infrastrukturmäßig und sozial aufgestellt ist – dann sehen wir auch da eine resiliente, zukunftsfähige Stadt. Dort wurde, wie in Amsterdam und Kopenhagen, das Auto weitgehend zugunsten öffentlicher Räume und Mikroverkehr aus der Innenstadt gedrängt. Kreative Lösungen werden auch für andere Bereiche wichtig sein, etwa für die urbanen Freizeitangebote. Städtische Bäder zum Beispiel kann man sicher mit wenig Aufwand großzügiger, weniger ‚eng‘ machen.“
Was bedeutet das für die Energieversorgung einer Stadt?
„Wir haben jetzt gesehen, wie wichtig es ist, eigenständige Reserven zu haben. Städte brauchen eine Widerstandsfähigkeit, die sie auch in Krisen robust macht. Da kommen erneuerbare Energien und Netzwerk-Lösungen zum Zuge. Es ist auch interessant, dass das Internet im Lockdown keineswegs zusammengebrochen ist – ein verlässliches, dynamisch pulsierendes Geflecht, das unsere Gesellschaft durchzieht.“
Wie kann uns die Digitalisierung dabei helfen, besser zusammen zu leben und zu arbeiten?
„Die Digitalisierung hat in der Krise eine Humanisierung erfahren: Menschen haben gelernt, die Technik wieder selbst in die Hand zu nehmen und zu Verbindung, Kooperation und Kommunikation zu nutzen, ohne dass damit gleich Werbeorgien einsetzten. Gleichzeitig haben sich viele Menschen wieder dem Analogen zugewandt, Bücher gelesen, Puzzles gelegt und lange Telefonate geführt. Es ist also eine Art real-digitale Praxis entstanden, die unser Verhältnis zum Digitalen vielleicht etwas entspannen und verbessern kann.“
Welche Auswirkungen hat das alles auf das Zusammenleben in der Stadt?
„Wir werden die Stadt in Zukunft noch mehr lieben. Man muss ja nicht ihre Staus und Verengungen lieben. Wir können auch in Zukunft in Biergärten sitzen, aber vielleicht nicht mehr so gedrängt. Das extrem exzessive Gruppenerleben hat sich selbst ausgetrickst. Es ist auf Dauer uncool geworden. Ischgl und Starkbierfeste hatten ihre Zeit. Jetzt rücken wir wieder ein wenig voneinander ab. Das kann doch auch schön sein.“